Für viele Menschen ist Sport ein wichtiger Teil ihres Lebens. Doch es ist auch ein Ort, an dem es zu sexualisierter Gewalt kommen kann. Das musste auch die Springreiterin Lisa-Marie Kreutz erfahren – und zeigte das Ausmaß mit einer Kampagne.
Mir haben die öffentlichen Reaktionen gezeigt, dass ich nicht alleine bin
Über Lisa-Marie Kreutz
Lisa-Marie Kreutz ist professionelle Springreiterin. Sie wurde in Magdeburg geboren und lebt heute in Baden-Württemberg. Zuvor studierte sie Sportjournalismus.
Wie wurdest du professionelle Springreiterin? War das immer dein Traum?
Ich war schon immer ein sehr sportliches Kind, das alle möglichen Sportarten ausprobiert hat. Ich habe erstmal mit Leichtathletik angefangen und war Sprinterin. Das habe ich tatsächlich sehr akribisch betrieben und viel trainiert. Meine Liebe zu Pferden war aber schon sehr groß. Ich wollte immer in ihrer Nähe sein. Anfangs bin ich nur in den Ferien geritten und hatte ab und zu mal eine Reitstunde. Mein Ziel war es, Leichtathletin zu werden und die Pferde als Hobby zu behalten. Doch als der Tag der Kaderauswahl kam, sagten sie mir, dass ich mich entscheiden müsse – entweder die Pferde oder die Leichtathletik. Ich habe mich für die Pferde entschieden.
Im Sport kommt es häufig zu sexualisierter Gewalt. Wie hast du das im Reitsport erlebt?
Der Reitsport lässt den Täterinnen und Tätern viel Raum. Wer Kinder und Jugendliche trainiert, arbeitet oft sehr eng mit ihnen zusammen. Sie sehen sich fast jeden Tag im Stall. Oft sind sie mit den Kindern allein, weil die Eltern sagen: „Du machst jetzt drei, vier Stunden dein Ding und dann hole ich dich wieder ab.” Dazu kommt, dass das Pferd gerade bei jüngeren Reiterinnen und Reitern ein Druckmittel sein kann. Pferde sind ja keine Tennisschläger. Du liebst dieses Tier, du hast eine Partnerschaft mit ihm. Wenn dir dann jemand sagt: „Du darfst mein Pferd nicht mehr reiten. Du darfst nicht mehr mit ihm zu Turnieren fahren. Ich sorge dafür, dass es verkauft wird.“, dann ist das gerade in jungen Jahren schon sehr hart und kann Kinder zum Schweigen bringen.
Wie lässt sich solchen Situationen verbeugen? Worauf können Eltern achten?
Wir können sexualisierte Gewalt im Sport leider nicht komplett verhindern. Aber wir können als Gesellschaft lernen, genauer hinzuschauen und Betroffenen Glauben zu schenken. Bei einem Verdacht können wir die Person fragen, wie es ihr geht und ob wirklich alles in Ordnung ist. Besser wir fragen einmal zu viel als einmal zu wenig nach. Auch Eltern, die ihre Kinder zum Sport schicken, sollten sich genau informieren: Wie lange ist der Trainer schon im Verein? Wo war er vorher? Es ist einfach wichtig, den Background zu kennen. Eltern können die Kinder nach dem Training fragen, wie es war und auf ihr Verhalten achten.
Du hast 2019 eine Kampagne gegen sexualisierte Gewalt im Reitsport gestartet. Wie kam es dazu?
Meine Sportart wird leider wahnsinnig oft sexualisiert. Dabei sehe ich mich in erster Linie als Athletin. Die Reithosen sind meine Berufskleidung. Und ja, ich poste auf Instagram Fotos, auf denen ich mich attraktiv finde. Dafür bekomme ich neben Likes leider auch Nachrichten, die wirklich extrem unter die Gürtellinie gehen. In einem Fall hat mir jemand sehr bildhaft beschrieben, was die Person gerne mit meinem Körper tun würde. Das hat mich furchtbar angewidert und sehr wütend gemacht. Ich weiß, dass auch andere Athletinnen die Sexualisierung ihrer Sportart erleben – zum Beispiel in der Leichtathletik oder beim Beachvolleyball, wo sie sehr knappe Kleidung tragen. Trotzdem hat mich das Thema nicht losgelassen. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas dagegen tun muss.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe ein Video aufgenommen und einfach in meine Kamera gequatscht: „Hey, ich bin eigentlich keine Influencerin, aber ich muss mich hier gerade mal auslassen: Wie schlimm ist es bitte, dass wir Reiterinnen und Reiter von der Gesellschaft so krass sexualisiert werden?“ Daraufhin haben sich viele Menschen bei mir gemeldet und mir ihre Geschichten erzählt. Dann habe ich den Hashtag #UYVEQUESTRIAN – USE YOUR VOICE! entworfen und die Leute gefragt, ob ich ihre Geschichten anonym erzählen darf. Einfach, um zu zeigen: Das ist kein Einzelfall. Können wir bitte darüber sprechen? Ich habe meine Stimme benutzt und möchte andere ermutigen, es auch zu tun.
Die öffentlichen Reaktionen haben mir gezeigt: Ich bin nicht allein. Es gibt viele Leute, denen es auch so geht. Heute bin ich glücklich. Mein Leben geht weiter. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem Körper und meiner Sexualität
Welche Reaktionen hast du bekommen?
Die Reaktionen kamen in Wellen. Am Anfang war es ein mega Hype. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass ich zwei Shitstorms bekommen habe. Dabei haben sich viele ältere Männer in mein Postfach verirrt und Sachen geschrieben wie „Hast du privilegiertes Kind keine echten Probleme?“. Darüber hinaus wurde ich als „ekelhafte Emanze“ und „Feministenfotze“ beschimpft. Zusätzlich schrieb jemand, dass ich gefälligst dankbar sein solle, wenn mich überhaupt jemand anfassen würde. Oder, dass man solche Sachen genießen müsse, wenn man sie schon nicht verhindern könne. Aber es gab auch ganz viele positive Reaktionen.
Erzähle uns mehr darüber!
Ich war zweimal im Fernsehen, beim ZDF und im MDR und habe viele Interviews gegeben. Danach habe ich wahnsinnig viele Nachrichten bekommen – manchmal 1.500 an einem Tag. Ich habe jede einzelne beantwortet. Denn ich wollte den Leuten zeigen, dass sie nicht allein sind. Sie sollten wissen, dass ich Respekt vor ihnen habe, dass sie sich trauen, über das Thema zu sprechen. Das hat mich extrem viel Zeit gekostet. Aber ich finde, dass es das wert war. Auch mir haben die Geschichten noch mal einen neuen Blickwinkel eröffnet. Denn ich bin selbst Betroffene. Das habe ich über die Kampagne zum ersten Mal so richtig bekanntgegeben.
Wie bist du damit umgegangen?
Viele wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Also habe ich recherchiert und diese Informationen auf einer Website bereitgestellt. Es gibt ein anonymes Hilfe-Telefon und einen Verband, bei dem man Vorfälle melden kann. Auch mit einer Rechtsanwältin und Psychologin habe ich gesprochen. Sie haben mir erklärt, wo Betroffene rechtliche Hilfe finden und welche Therapiemöglichkeiten es gibt. Dieses Wissen zu vermitteln, war mir ein großes Anliegen. Viele Leute haben mir geschrieben, dass diese Informationen ihnen sehr geholfen haben.
Hat die Kampagne dich auch persönlich verändert?
Durch die Kampagne habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, die eigene Geschichte zu erzählen und zu verarbeiten. Das muss nicht zwingend öffentlich passieren. Aber mir haben die öffentlichen Reaktionen gezeigt: Ich bin nicht allein. Es gibt viele Leute auf der anderen Seite des Bildschirms, denen es auch so geht. Heute bin ich glücklich. Mein Leben geht weiter. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem Körper und meiner Sexualität. Mit meiner Kampagne konnte ich anderen Menschen helfen. Das ist ein schönes Gefühl.
Was macht dir Mut?
Das kommt jetzt vielleicht wenig überraschend: Aber meine Pferde machen mir Mut. Denn egal, was in meinem Leben passiert, sie sind immer an meiner Seite. Sie urteilen nicht. Die Liebe und die Partnerschaft zu meinen Pferden, steht für mich über allem.
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