Rechtsanwältin Petra Ladenburger vertritt Betroffene von sexualisierter Gewalt vor Gericht. Hier erzählt sie von den psychischen Belastungen in Strafverfahren – aber auch von den positiven Entwicklungen ihrer Mandantinnen und Mandanten.

Manche Betroffene finden so wieder zu ihrem alten Ich

Über Petra Ladenburger
Petra Ladenburger vertritt als Rechtsanwältin seit fast 30 Jahren Betroffene von sexualisierter Gewalt vor und in Gerichtsverfahren. Sie lehrt als Dozentin an der Technischen Hochschule Köln zu den Themen Gewaltschutz und Familienrecht. Zusätzlich unterstützt sie als Anhörungsbeauftragte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Als Rechtsanwältin vertreten Sie Betroffene von sexualisierter Gewalt. Was genau sind Ihre Aufgaben, Frau Ladenburger?

Ich bin in erster Linie in Strafverfahren tätig. Wenn Betroffene zu mir kommen, bevor sie eine Strafanzeige erstatten, berate ich sie: Was käme in einem Strafverfahren auf sie zu? Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es? Wie kann ein Verfahren ausgehen? Letztendlich unterstütze ich Betroffene bei der Entscheidung, ob sie eine Anzeige erstatten oder nicht. Manche entscheiden sich nach der Beratung aus den verschiedensten Gründen auch gegen eine Strafanzeige. In anderen Fällen werde ich in laufende Ermittlungs- oder Strafverfahren eingeschaltet. Das kann bedeuten, dass ich bei polizeilichen Vernehmungen dabei bin, Anträge für weitere Zeuginnen und Zeugen stelle oder Akteneinsicht beantrage. Im letzten Schritt begleite ich die Betroffenen natürlich vor Gericht und vertrete sie als Nebenklageanwältin. 

Warum vermeiden Sie selbst die Bezeichnung „Opferanwältin”?

Ich finde es stigmatisierend, Betroffene von sexualisierter Gewalt als „Opfer” zu bezeichnen. In der Tatsituation sind sie im Verhältnis zum Täter oder zur Täterin natürlich uneingeschränkt Opfer. Aber über die Tat hinaus haben die Menschen ja noch viele andere Facetten. Menschen an sich sind ja keine Opfer, sondern werden es nur in konkreten Situationen. Der Begriff schreibt den Betroffenen Hilflosigkeit zu. Noch dazu wird er in der Jugendsprache oft als Schimpfwort genutzt.

Die Entwicklungen, die ich bei vielen Betroffenen beobachte, sind sehr ermutigend und motivierend. Teilweise können sie während des langen Prozesses wieder zu ihrem alten Ich finden.

Sollten Betroffene direkt Anzeige bei der Polizei erstatten? 

Strafverfahren können langwierig und sehr belastend sein. Deshalb macht es aus meiner Sicht Sinn, vorher zu wissen, was auf einen zukommt – ehe man die Entscheidung trifft, diesen Schritt zur Polizei auch wirklich zu gehen. Betroffene sollten sich genau informieren und auch rechtlich prüfen lassen, wie die Erfolgsaussichten in einem Strafverfahren wären. Viele Betroffene sind sonst enttäuscht, wenn das Strafverfahren nach der Aussage bei der Polizei eingestellt wird.

Inwiefern ist eine Anzeige sinnvoll, wenn die Tat schon Jahre zurückliegt? 

Die Taten könnten dann verjährt sein, sodass das Verfahren ohne weitere Prüfung eingestellt wird. Die Verjährungsfristen sind im Sexualstrafrecht ziemlich kompliziert und stark vom individuellen Fall abhängig. Hier ist eine rechtliche Beratung auf jeden Fall sinnvoll. Ich habe aber auch schon mit Mandantinnen oder Mandanten gemeinsam Anzeige erstattet – obwohl die Tat bereits verjährt war. Den Betroffenen war es dann wichtig, dass die Tat dennoch in einer staatsanwaltschaftlichen Akte dokumentiert ist. Außerdem kann nach langem Zeitablauf auch bei nicht verjährten Taten die Beweissituation schwieriger werden, wenn beispielsweise die Zuverlässigkeit der Erinnerungen angezweifelt wird.

Was kommt in einem Strafverfahren auf Betroffene zu? 

Es gibt viele Zeitpunkte, an denen Betroffene detailliert von der Tat erzählen müssen. Das Strafverfahren beginnt zunächst mit dem Ermittlungsverfahren bei der Polizei. Erst danach entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt ist und es zu einem Verfahren kommt. Betroffene müssen dafür eine sehr ausführliche Aussage bei der Polizei machen. Dabei müssen die Taten möglichst detailliert und konkret mit Tatort, Tatzeit und Tathandlung geschildert werden. Eine solche Befragung geht sehr in die Tiefe und zwingt, sich noch mal ganz genau an alles zu erinnern. Wenn Anklage erhoben wird, kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren. Dazu müssen alle Zeuginnen und Zeugen sowie oftmals auch die Betroffenen noch mal eine ausführliche Aussage machen. Wie ausführlich hängt auch davon ab, wie sich der oder die Angeklagte verhält. Wenn es ein Geständnis gibt, kann es auch sein, dass es gar keine Aussage oder keine so detaillierte Aussage mehr braucht. 

Die psychische Belastung eines Gerichtsverfahrens kann sehr hoch sein. Warum kann der Schritt für Betroffene trotzdem wichtig sein?

Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Manche meiner Mandantinnen und Mandanten wollen ganz klar, dass die angeklagte Person zur Verantwortung gezogen und möglichst hart bestraft wird. Ganz vielen ist jedoch nicht wichtig, wie genau der Täter oder die Täterin bestraft wird. Sie wollen einfach klargestellt haben, dass sie die Wahrheit sagen und selbst keine Schuld tragen. Oft ist es auch wichtig, dem sozialen Umfeld zu zeigen, dass man recht hat. Andere Betroffene wollen die Straftat aktenkundig machen und damit auch mit dem Erlebten abschließen. Es gibt aber auch Mandantinnen und Mandanten, die verhindern wollen, dass der Täter oder die Täterin weitere Taten begehen kann. Es geht ihnen also vielmehr um den Schutz von zukünftigen potenziellen Opfern. Ganz oft treffen viele dieser Gründe gleichzeitig zu. 

Wie können Eltern ihre betroffenen Kinder in einem laufenden Strafverfahren am besten unterstützen?

Ich finde es besonders wichtig, dass Eltern sich Unterstützung holen. Wenn sie erfahren, dass ihr Kind missbraucht wurde, hebt das die Welt aus den Angeln. Es ist eine große Herausforderung, gleichzeitig für das Kind stark zu sein, alles zu organisieren und dabei selbst noch unter Schock zu stehen. Eltern brauchen deshalb unabhängig von ihren Kindern Unterstützung. Außerdem ist es wichtig, die passende Hilfe für das eigene Kind und eventuell auch für die Geschwister zu finden. Was das ist, kann ganz unterschiedlich sein. Manche Kinder wollen beispielsweise gar nicht über die Tat reden – auch das sollten Eltern akzeptieren. 

In welchen Fällen kann eine psychosoziale Prozessbegleitung sinnvoll sein? Wer hat Anspruch darauf?

Die psychosoziale Prozessbegleitung unterstützt die Betroffenen vom Ermittlungsverfahren bis zur Gerichtsverhandlung. Es geht dabei aber nicht um eine rechtliche Unterstützung, sondern um eine psychosoziale. Zum Beispiel können Prozessbegleiterinnen und -begleiter bei der Vernehmung dabei sein, sie stellen Kontakte zu Anwältinnen und Anwälten her oder machen die Wartezeit vor Gericht erträglicher. Sie stehen den Betroffenen bei allen Fragen und Ängsten zur Seite und sind eine gute Ergänzung zur rechtlichen Vertretung. Für Betroffene in Verfahren zu sexuellem Missbrauch ist die psychosoziale Prozessbegleitung kostenlos und kann beim zuständigen Gericht beantragt werden. Es ist möglich, einen Antrag direkt bei der Polizei zu stellen, die diesen weiterleiten wird.

Gibt es etwas, das Ihnen in Bezug auf Ihre Arbeit Mut macht?

In Verfahren begleite ich Mandantinnen und Mandanten oft über einen langen Zeitraum. Die Entwicklungen, die ich dabei bei vielen Betroffenen beobachte, sind sehr ermutigend und motivierend. Ich bewundere sehr, wie engagiert und „tough“ Betroffene durch die Zeit gehen. Teilweise können sie während des langen Prozesses wieder zu ihrem alten Ich finden. Viele Betroffene haben auch ein großes Verantwortungsgefühl für andere. Dann ist der Anlass für eine Anzeigenerstattung gar nicht das eigene Wohlbefinden, sondern die Motivation, etwas für andere verändern zu wollen.

Sie möchten mehr über das Thema Recht erfahren? In der Rubrik „Wissenswertes“ finden Sie hilfreiche Informationen.

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